Annika Sticher begegnet in Brasilien den indigenen Kulina. Wo sie einen der dunkelsten Orte der Welt sieht, will sie Licht sein.
„Terra Protegida – geschütztes Land“ heißt es auf den Schildern, die die indigenen Territorien hier im Landkreis Envira markieren. Bei Betreten dieses „geschützten Landes“ wird es mir oft ganz schwer ums Herz. Ich gehe vorbei am ersten Haus und erinnere mich an eine alte Kulina, die bettlägerig wurde und langsam in ihrer Hängematte dahinvegetiert ist. Ich gehe den Weg zwischen den beiden Dörfern entlang und erinnere mich, wie viel Gewalt und Todesfälle es auf diesem Weg schon gegeben hat. Ich sehe ein Stück weiter vorne das neue, zum Teil schon zerstörte Schulgebäude, in dem es nur selten Unterricht gibt. Sehe die heruntergekommenen Hütten, in denen ich tagsüber nur in wenigen Fällen Erwachsene antreffe, aber zurückgelassene Kinder, die darauf warten, dass ihre Eltern vom Trinken in der Stadt wiederkommen.
Was ich sehe und mit den Kulina erlebe, sind unter anderem die Konsequenzen von politischer Diskriminierung, mangelndem Zugang zu Bildung, Gesundheit und anderen Grundrechten, kulturellem Verfall und dem Verlust der kulturellen Identität.
Ich sehe die Konsequenzen von einem Leben fern von Gott: einem Leben, das auf allen Beziehungsebenen aus dem Gleichgewicht gebracht oder gar gestört ist – in der Beziehung zu Gott, in der Beziehung zu anderen Menschen und in der Beziehung zu sich selbst.
In dem Lied „Anker in der Zeit“ heißt es: „Es gibt ein ewges Reich des Friedens, in unsrer Mitte lebt es schon, ein Stück vom Himmel hier auf Erden in Jesus Christus, Gottes Sohn.“ Gottes Reich ist nicht nur eine Hoffnung. Gottes Reich ist schon jetzt real, schon jetzt im Werden. Es hat mit Jesu Kommen auf diese Erde begonnen und unser Auftrag ist es, an diesem Reich, an dieser neuen Welt zu bauen: einer Welt, in der Gottes Heil und Gerechtigkeit auf allen Beziehungsebenen wiederhergestelltsind. Das ist ein sehr praktischer Auftrag, der den ganzen Menschen betrifft, alle Lebensbereiche. So wie Jesus es uns vorgelebt hat. Er hat den ganzen Menschen gesehen in seiner Beziehung zu Gott, zu anderen und zu sich selbst.
Was möchte ich in all diesem Leid für das Volk der Kulina tun? Ich möchte ihrem Leid auf allen Ebenen begegnen, möchte eine Anlaufstelle sein, an der Gottes neue Welt für sie hörbar und spürbar wird – ein Stück vom Himmel hier auf Erden!
Annika und Sebastian Sticher sind Missionare in Envira, Brasilien
Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Februar – April 2023) erschienen.